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Tod in Venedig

16.09.2011

Wir konsumierten auf dem Weg zu unserem Tagesziel erst mal wieder Kunst. Yi Zhao stellte in Räumen 20 Meter von unserem Domizil entfernt seine Videos aus.
Viel Apokalyptisches untermalt mit der Musik vom Oscar preisgekrönten Filmkomponisten  Ennio Morricone war zu sehen. Eine etwas schwere Kost direkt nach dem Frühstück, doch Art Junkies wie wir können so etwas ertragen.Unsere Magenschleimhäute sind Schlimmeres gewohnt.



Auch in Venedig sterben Menschen und ihre toten Körper brauchen Platz. Ihr könnt euch denken, dass dafür eine Insel ausgewählt wurde. San Michele ist nur 10 Minuten Dampferfahrt entfernt.
Damit sich kein Totenschiff verfährt, weisen ihm zwei Mönche den Weg.

Photo by Mario Vercellotti (vermario)
Die Insel hat eine Größe von 460 x 390 Meter. Damit die Leichen bei Hochwasser nicht frei gespült werden, ist sie von einer Mauer umgeben, die auch als Deich funktioniert.
Es gibt nur einen Zugang zur Insel über die Anlegestelle.

Um Platz zu sparen, werden viele Gräber übereinander gestapelt.
Die Verschlußplatten sind sehr individuell dekoriert und damit hübsch anzusehen. Neben Blumen und oft ein oder mehr Fotos finden sich auch nette kleine Beigaben, wie das Lieblingsauto als Modell.

Auch ein Niederspannungs Stromanschluß, ich vermute 12 Volt, ist vorhanden. Die Zuleitung wird durch die Platte geführt und speist ein elektrisches, Ewiges Licht. So was begeistert den Elektroniker in mir. Was nur noch fehlt, ist ein DSL Anschluss ins Jenseits.

Neben den "normalen" Toten liegen auf der Insel auch viele bekannte Persönlichkeiten. Zum Beispiel der Literatur Nobelpreis Träger Joseph Brodsky. Witzig war der Briefkasten an seinem Grabstein.Wird ihm die Post dort zugestellt, hat er einen Nachsendeantrag gestellt? Fragen, die uns niemand beantwortete. Im Leben hatte der Poet arge Probleme in der Sowjetunion. Obwohl er nach dem Großen Steuermann Stalin benannt war, wurde er ausgebürgert.

Das nächste auffällige Grab beinhaltete die Überreste des Dichters Ezra Weston Loomis Pound. Der war geborener US-Bürger und über die Stationen New York und London nach Venedig gekommen. In Italien entwickelte er sich zu einem glühenden Anhänger Mussolinis, was ihm nach dem Krieg fast den Kopf gekostet hat. Drei Jahre Aufenthalt in der Psychiatrie bewahrten ihn davor. Eigentlich schade, er blieb bis zum Ende überzeugter Faschist.

Über den nächsten Verblichenen gibt es viel mehr Freundliches zu erzählen. Der Komponist Igor Stravinsky gehörte zu den Wegbereitern der Moderne in der Musik. Was ihn mir neben seinen genialen Werken für Tanztheater und Konzerthaus zusätzlich sympathisch macht, ist seine Begeisterung für das Scrabble Spiel.
Einer jüdischen Tradition entsprechend waren viele Steine auf sein Grab gelegt. Er ruht auf San Michele neben seiner geliebten Frau Vera.

Emilio Vedova war ein Bildender Künstler. Er wurde in der Nachkriegszeit weltweit bekannt und nahm mit seinen Werken sowohl an der Biennale als auch mehrmals an der documenta teil.
In den 70er Jahren wohnte er in Berlin. Eine Skulptur mit dem Titel  Absurdes Berliner Tagebuch '64, aus gefundenem alten Bauholz hergestellt, wird in der Berlinischen Galerie gehütet. Venedig war seine Heimatstadt, deshalb ist er hier begraben.

Eine Erweiterung des Friedhofs wurde 1998 von David Chipperfield gestaltet. Von Außen wirkt das Betonquadrat wenig einladend und innen wären die Gänge schwer zu ertragen, wenn die ItalienerInnen nicht so gerne an den Grabplatten Fotos und bunten Kitsch befestigten.

Auf dem Weg zurück zur Anlegestelle entdeckten wir mehrere schlecht gesicherte verfallende Gruften.
Wären wir Antiquitätendiebe, hätte es uns in den Fingern gejuckt die Gitter aufzuhebeln. Besonders die wahrscheinlich aus dem Art Deco stammende Vase hätte es mir angetan. Der Krempel aus der Kammer bringt ein wenig restauriert am Markt bestimmt ein paar tausend Euro. Wir waren traurig, dass solche Kulturgüter dem Verfall preisgegeben werden.

Für den Rückweg bestiegen wir ein Vaporetto, das mit uns durch den Canal Grande schipperte. Dort herrschte gerade Feierabend Verkehr und am Engpass Rialtobrücke stauten sich die Schiffe. Augenstern konnte so das Bauwerk in Ruhe in Augenschein nehmen.

Wieder daheim verzehrten wir einen Imbiss auf der Piazza.
Derweil trudelten die älteren Herren ein, die jeden Abend ein paar Meter von uns entfernt zusammen kamen. Diesmal holte einer Muscheln aus dem Boot, flugs stand ein Topf auf einem Propankocher und sie speisten.

Für den Abend hatten wir einen Besuch auf Guidecca geplant. Ein Kunstfestival war dort angekündigt. In die untergehende Sonne hinein fuhren wir über die Lagune di Guidecca dort hin.
Vom Schiff bot sich uns ein herrlicher Blick zurück.

Vom Kai sahen wir ein Kreuzfahrtschiff auslaufen, von den Tagestouristen, die über Venedig herfallen, wird ein guter Teil von diesen schwimmenden Hotels ausgespuckt.
Die Bewohner Guideccas werden jedoch selten belästigt.

Leider fanden wir von angekündigten Kunstfest nichts mehr.
Nur auf einer der Verbindungsbrücken am Kai fand eine Session statt und Feuerschlucker und Jongliere traten auf. Wir platzierten uns vor eine Bar daneben, tranken Rotwein und genossen die Stimmung.

Mit einer der Nachtverbindungen setzten wir zurück nach Venedig über. Wir spazierten noch etwas herum und ich konnte so eine Nachtaufnahme vom Einfahrttor des Arsenale schießen. So gruselig sieht es dort nicht in Wirklichkeit aus, ich habe das Foto manipuliert.

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