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Im Nahen Osten

30.01.2013

Weil die Liebste noch ferner im Osten arbeitet, trafen wir uns in der Mitte am S-Bahnhof Ostkreuz. Nördlich davon befindet sich der aktuell noch beliebteste Touristen Trampelpfad der Hauptstadt. Die meisten Restaurants und Lokale dort gehen davon aus, dass der Gast nie wieder kommt. Entsprechend ist auch die Qualität der Speisen und der Bedienung.

Doch wir waren hungrig und nach langwieriger Recherche im Netz stieß ich auf den Fischschuppen, einen gehobenen Imbiss für LiebhaberInnen des Meeresgetiers. Die meisten der Kommentare zum Laden waren positiv, doch einige warnten heftig. Die Fotos der Einrichtung wirkten jedoch sympathisch.

Warum sollten sich unsere Vorurteile gegen die Touristenmeile sich immer bestätigen?
Doch sie taten es. Bei meinen Spaghetti mit Jacobsmuschel schmeckte die Sauce so ekelig, dass ich nur einen Bissen kostete. Der Zander der Liebsten war hart durchgebraten und die "frischen" Bratkartoffeln waren wohl ein Fertigprodukt.
Den Fischschuppen bitte meiden!

Doch Futtern war nicht unser Hauptziel, wir wollten uns mal wieder eine Dosis Kultur reinziehen. Im Stadtmagazin war mir ein neues Kino mit dem verwegenen Namen Zukunft aufgefallen, das direkt am Ostkreuz angesiedelt ist. Dort spielten sie unseren Wunschfilm.

So überquerten wir nach dem grässlichen Essen die S-Bahngleise und fanden uns in einem Industriegebiet wieder.
Dort ist die Zukunft, das Kino, die Kneipe und die Galerie, in Baracken untergebracht. In unseligen Zeiten war dort ein Filmlager der DDR.

Die Tapeten und ein Teil des Mobiliars sind noch aus dieser Ära. Verstärkt durch einen leicht muffigen Geruch schwebt der diskrete Charme der Vergangenheit durch die Räume. Manchmal war auch noch ein Hauch des berühmten DDR Desinfektionsmittels zu erahnen.

Zur Kinokarte wurde uns dann ein Kulturbeitrag von 30 Cent für den Besuch der Galerie abgeknöpft.
Jen Repin war dort mit Gemaltem vertreten. 
Seine Formate waren recht unterschiedlich und auch die Stile wechselten mal zum Comic, mal in Richtung klassischen Realismus.
Ich habe das Gefühl, der Künstler hat seine persönliche Malweise noch nicht gefunden.

Dann suchten wir den Kinosaal auf. Er ist in Verhältnis zum Rest der Einrichtung hochmodern und mit sehr komfortablen Sitzen ausgestattet. Auch die Beinfreiheit ist exzellent. Von den ca. 50 Plätzen waren nur zwei, und zwar von uns, belegt.

Dort sahen wir den Film "Cäsar muss Sterben", der Altmeister des italienischen Kinos, den Gebrüdern Taviani.
So kurz vor der Berlinale 2013 wollten wir wenigsten den letztjährigen Gewinner des goldenen Bären gesehen haben.
Die Geschichte um den Tyrannenmord an Julius Cäsar, für die Bühne von Shakespeare umgesetzt, dürften viele kennen. Darin wird Cäsar, nachdem er zum Alleinherrscher ernannt wurde, von einer Gruppe enttäuschter Anhänger erdolcht.
 
Das Besondere am Film war jedoch, dass eine Gruppe von Gefangenen aus einem italienischen Hochsicherheitsknast dieses Theaterstück erarbeitete und aufführte. Keine leicht zu führenden Laienspieler, die meisten sitzen wegen Mafiavergehen.

Der Film ist aber keine Dokumentation sondern das Casting, die Proben und die Aufführung sind voll durchinszeniert. Doch dadurch dass, bis zum Spiel vor den ZuschauerInnen, der Film schwarz / weiß ist, wirkt er authentisch.

Im Nachhinein bin ich mir unsicher, ob ich gerne eine der auch in Berlin stattfindenden Theater im Knast ansehen will. Den Gefangenen ist anzumerken, dass sie um ihr Leben spielen, doch ist es für sie gut, wenn alles doch wieder in einer Zelle endet?



Die Kritiken der anderen: Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Nachtkritik

Sugarmamas auf Safari

21.01.2013

GASTBEITRAG


Zum Thema Sextouristinnen gab es vor ein Paar Jahren den Film "In den Süden" mit Charlotte Rampling in der Hauptrolle. Jetzt bringt der Österreicher Ulrich Seidl uns in seinem Film "Paradies: Liebe" nach Kenia. Dort suchen die in die Jahre gekommene Europäerinnen den Kick von jungen, knackigen Männern begehrt zu werden. Die fünfzigjährige Teresa macht Urlaub in Kenia, wo ihre Freundinnen sich schon routiniert von Einheimischen anbaggern lassen. Teresa hat als Anfängerin erstmal Hemmungen sich auf das Spiel einzulassen, sie ist unerfahren und teilweise naiv. Sie versucht an der Illusion Liebe festzuhalten, glaubt an echte Begierde.

Es geht  jedoch um knallhartes Geschäft.  Eine weiße Urlauberin ist für einen jungen kenianischen Familienvater eine zu Fleisch gewordene Geldbörse. Die Frauen nutzen deren Not in erniedrigendem, kolonialistischem Stil.

Das Wort Safari bedeutet Jagdreise, hier geht es um eine Sexsafari. Wer wen jagt, möge offen bleiben.

Teresa ist übergewichtig, weit entfernt von westlichen Schönheitsidealen. Den kenianischen Beachboys ist das Alter und die Festigkeit des Körperfleisches  zweitrangig, Hauptsache die Medikamente für das Baby werden bezahlt.

Teresa wird in das raue, bescheidene Welt der Einheimischen mitgenommen, sei es für eine Mitleidstour in den ärmlichen Behausungen oder für schnellen Sex in einem trostlosen Stundenhotel.

Den jungen Männer sind alle Mittel recht, Hauptsache es springt was dabei raus. Es wird gelogen, getrickst, sexuelle Interessen, ja sogar Liebe,  vorgegaukelt. Manche Methoden sind schlicht erniedrigend.

Teresa kann in den Schutz ihres Luxusressorts zurückkehren, wo Touristen Tag und Nacht bewacht werden.
Die Beutetouren werden zusammen mit den Freundinnen ausgewertet. Da wird unablässig über die Sexpartner gesprochen, sich lustig über deren Sprechversuche in Deutsch gemacht. Ist es Gleichberechtigung, wenn vier Frauen sich mit einem bezahlten Boy vergnügen? Ist es moralisch verwerflich, wenn es sich bei dem als Geburtstagsgeschenk bestellten Stripper um einen Mann aus der so genannten Dritten Welt handelt? Gibt es Freiwilligkeit in Sachen gekaufter Sex?


Die Rollen im Film sind teilweise mit Berufschauspielern, teilweise mit Laien besetzt. Terese wird grandios von Margarethe Tiesel gespielt. Vieles im Film wirkt authentisch, beinah dokumentarisch. Es ist kein fröhlicher Film, jedoch allermal sehenswert. "Paradies: Liebe" ist der erster Teil einer Trilogie des Regisseurs. Der dritte Teil „Paradies: Hoffnung“ läuft im Wettbewerb auf der Berlinale.



Kritiken der Anderen: Zeit, Tagesspiegel, Spiegel,

Liedermacher Revival

19.01.2013

Als junger Kerl war ich in Berlin regelmäßiger Gast in Clubs, in denen auch Liedermacher mit Gitarre und deutschen Texten auftraten. Bei einer solchen Kombination sind die musikalischen Möglichkeiten jedoch recht begrenzt und so war ich froh, als der Hype um die Liedermacher abebbte. Zwar gibt es einzelne übrig gebliebene Leuchttürme wie Hannes Wader, aber ein Konzert mit ihm hätte ich nicht freiwillig besucht.

Leider ist das Foto etwas veraltet.
Dieses Mal war es eine Einladung, die mich ins SO36 lockte. Es war gerammelt voll. Der erste Minuspunkt beim Konzert war, dass das Rauchverbot nicht durchgesetzt wurde. Der Gestank war dementsprechend.
Dann trat die Vorgruppe Billi Rückwärts, zwei Jungs mit Gitarre und eine Frau mit Geige, auf. Musikalisch waren sie recht gut, leider waren die Texte spätpubertierendes Geschwätz.

Dann erschien Götz Widmann, der Star des Abends. Er spielte ein Wunschkonzert. Seine Fans hatten die Auswahl getroffen. Schon beim ersten Song sangen viele mit, die Texte wurden besser, doch richtig begeistert war ich auch nicht.
Nach dem dritten Lied verließen wir das SO36.

Wir zogen weiter ins Ballhaus Naunynstrasse. Dort hat die bekannte DJane Grace Kelly die Bar im Keller übernommen. Die hat sie auf den Namen "Heimlich" getauft. Wie gehofft, hörten wir dort einen tollen Weltmusikmix aus dem Laptop.



Auf dem Heimweg entdeckten wir im Treppenhaus spannende Kunstwerke von Silvina Der-Meguerditchian.
Sie ist Nachfahrin armenischer Flüchtlinge aus der Türkei und zog aus Argentinien nach Berlin. Ihr Teppich mit eingewebten, geschlossenen Augenpaaren steht für die geleugnete Verantwortung der Türken an der Vertreibung und den Massakern an der armenischen Minderheit 1915 / 1916.
Die Opferzahlen schwanken zwischen 300.000 und 1,5 Millionen.

Finissage mit Fuffzehn

12.01.2013

Eine kleine feine Galerie hat in der Nähe des U-Bahnhofs Walter-Schreiber-Platz ihre Tore geöffnet. Die Galerie Fröauf ist einem Laden untergekommen. Deshalb war ich skeptisch, als ich die Anzahl der KünstlerInnen sah, die dort ausstellen wollten.
Doch Platz ist in der kleinsten Hütte, wenn Frau weiß, wie geschickt gehängt wird. Die Hängung war sehr gelungen und die meisten Werke fand ich beachtenswert.

Dieses und die folgenden Fotos
© kunstraum FRÖAUF S. Wehr
Andreas Fischer
Tante Hilde
Lupe Godoy
`Schwarz ist mein Name` 2012, Collage auf Pappe, 30 x 30 cm
Heinz Kasper
Into the Light
(ein Schneelabyrinth)
Kunst am Berg Zell am See (A) Januar 2012
Ulrike Hogrebe
Silke Koch
from the series "Rockets from Evil Empire" - 2008/09 porcelain, plastic, metal, glass
45cm x Ø 13cm
Julia Neuenhausen
Ernst Baumeister
“Gesicht weiblich” 2011, Siebdruck
Mechthild Ehmann
`Little Hip` 2011, Sodalit
David Gessert
Jürg Schmiedekind
Berlin-Mitte, Vossstraße, 2012, Fotografie
Ev Pommer
`durchlässig` 2004 – 2007, Holz/Pigment, 74 x 46 x 95 cm
André Baschlakow
Aus der Serie `Tagebaulandschaften der Niederlausitz` Kontaktprintverfahren, Baryt
Susanne Wehr
`restless` 2012, Photocut, 70 x 100cm, gerahmt
Angela Bröhan
Aus der Serie “In anderen Gegenden” Teneriffa 2012, Fotografie,
Format 30 x 30 cm,
Auflage 10 + 1 AP
Gregor Cürten
`Marlen Haushofer 1955` 2010, Eitempera und Enkaustik auf Bütten, 51x39cm
Die Werke der meisten KünstlerInnen fanden mein Wohlwollen. Nur die Arbeit von David Gessert fand ich richtig schlecht.

Deutsch - Skandinavische Freundschaft

06.01.2013


Am Sonntag trieb es uns, meine geliebte Finnin und mich, zur Deutsch - Skandinavische Jugend-Philharmonie. Dieses Orchester existiert seit 1981 und tritt ein mal im Jahr in Berlin auf. Es probt stets ca. zwei Wochen und dann folgt ein Abschlusskonzert in der Berliner Philharmonie.

Karelische Mädchentracht
Nachmittags trudelten wir dort ein und nahmen in dem etwas klein geratenen finnischen Block Platz.
Trotzdem das Konzert unter dem Motto "Karelien" stand, war das gut gefüllte Auditorium nicht mehrheitlich mit Suomi gefüllt. Ich hatte dies erwartet, denn vielen FinnInnen ist Karelien ein heiliger Ort. Ihr Nationalepos Kalevala soll dort entstanden sein und einige trauern immer noch dem im Krieg gegen die Sowjetunion verlorenen Gebiet nach.

Am Beginn des Konzerts waren die jungen MusikerInnen wohl noch etwas nervös, denn es kam zu kleinen Missgeschicken, aber dann griff der Dirigent Andreas Peer Kähler ein und später lief alles rund.
Das Programm war anspruchsvoll:
- Jean Sibelius selten gespielter Karelia-Ouvertüre op. 10
- Jean Sibelius Karelia-Suite op. 11
- Igor Strawinsky Orchestersuite zu dem Ballett Der Feuervogel

Das waren bekannte Stücke, die dem Orchester gut gelangen. Richtig genial war jedoch die Eigenkomposition vom Dirigenten Andreas Peer Kähler und der Volkssängerin und Musikwissenschaftlerin Karoliina Kantelinen. Frau Kantelinen kam von Rang herunter zum Pult und stimmte dabei Joik (Obertongesang) im Wechsel mit den Gruppen des Orchester an. Sie forderte diese mit gesungenen Passagen zur Antwort heraus.

Eine tolle Idee, die das Konzert mit den 90 jungen Musikern aus 15 Ländern zu etwas sehr Besonderem machte. Bei dieser Aufführung durften sogar die PercussionistInnen die Ärmel hochkrempeln und mit Wasser plempern. Für das Orchester war das Stück eine Herausforderung.

Zum Schluss gab es lang anhaltenden Beifall und sogar noch eine kleine Zugabe.