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Halbtransparent

09.07.2015

In der Galerie Art Cru präsentierte das Offene Atelier im St. Hedwig Krankenhaus die Ausstellung "Dünne Haut".


In dem Atelier können PatientInnen der Psychiatrie künstlerisch arbeiten. Externe können sich Atelierstunden vom Arzt verschreiben lassen.
Menschen mit psychischen Belastungen haben oft auch eine sehr dünne Haut und zeigen dies auch beim kreativen Schaffen.
Die KünstlerInnen waren:

Belhe Zaimoglu
Sie ist Schauspielerin und als solche recht bekannt.
Ihre Arbeiten gefielen mir nicht, mich erinnerten sie an naive Kunst.
Als Ausdrucksmittel einer Krankheit akzeptabel, aber künstlerisch zu dünn.
Michael Behrens
Er ist Profi Fotograf und das merkt man den Arbeiten an.
Die Idee Röntgenbilder vor Fensterscheiben zu kleben und durch sie das Außen zu fotografieren fand ich genial.

Insgesamt war es eine nette Vernissage, es spielte das Trio Laccasax zur Unterhaltung und die meisten Reden waren gut und knackig.
Den einzigen Ausrutscher lieferte der Bezirksbürgermeister von Mitte. Er schwafelte unter anderem davon, wie hip Mitte ist.

Angeblich soll das in jedem Berlin Reiseführer stehen, ich vermute er zitierte antiquarisches. Dann folgte noch eine Lobeshymne auf das wiederaufgebaute Stadtschloss der adligen Blutsauger von und zu Hohenzollern.
Dort will Deutschland seine weltweit gestohlenen Kulturgüter ausstellen. Echt toll.

Jazz gegen Bares

08.07.2015

Nach meinem zweiten Besuch im Zig Zag Jazz Club möchte ich euch den Laden nah beim Innsbrucker Platz erst mal empfehlen. Es handelt sich um die Bar, die lange Zeit Noyman Miller hieß. Von Mi. bis Sa. präsentieren sich MusikerInnen bei freiem Eintritt und bitten anschließend um einen Obolus in den Hut.

Die Wirte sind selbst Musiker und entsprechend hoch ist die Qualität der Auftretenden.

Diesmal spielte das Dejan Jovanovic Gipsy Trio auf. Es gab Gipsy / Balkan Jazz auf die Ohren.
Die Musiker waren: Dejan Jovanovic - Akkordeon (Serbia), Vladimir Karparov - Saxophone (Bulgaria), Dimitris Christides - Drums (Greece).
Die Musik war mitreißend und sehr gut tanzbar.

Leider ist das Friedenauer Publikum sehr zurückhaltend. Man / frau bleibt auf dem Hintern sitzen und applaudiert höchstens mal lauter.
So waren meine Begleiterin und ich beinah die Einzigen die tanzten.
Der Club war sehr gut besucht, reservieren ist empfehlenswert.
Der einzige Wermutstropfen war die wieder mal kaputte Espressomaschine. Aber nichts ist vollkommen ;-)




Landluft in Brodowin

07.06.2015

Für zwei Tage lud das Ökodorf Brodowin zum Hoffest. Der Demeter Betrieb ist eine ehemalige LPG und ca. 70 Kilometer nordöstlich von Berlin angesiedelt.

Am Sonntag fuhren die Liebste und ich mit dem Regionalbahn nach Chorin und wurden dann mit einem Bus nach Brodowin transportiert. Am Eingang verlangten sie erst mal zwei Euro Eintritt, ein wenig merkwürdig für eine Werbeveranstaltung, aber im Osten ist das wohl üblich.

Süß fand ich das am Eingang eine sehr lange Schlange und ein kurze Schlange anstand. Auch daran merkte ich wie immer noch die Unterschiede zwischen Ossis und Wessi sind. Anscheinend ist es in Ostdeutschland immer noch Usus sich an der langen Schlange anzustellen, es könnte ja etwas Besseres zu kaufen geben.

Wir bevorzugten die kurze Wartezeit und waren anschließend über das vielfältige Angebot an den Ständen überrascht. Das Gut und andere AnbieterInnen präsentierten lecker Essbares. Kosthappen gab es überall.
Daneben wurde viel Keramik und Kleidung angeboten.

Viel noch lebendes Tierisches war auch zu sehen, Brodowin hat sich auf Rinder und Ziegen und deren Molkereiprodukte spezialisiert.
In einer Scheine war prämiertes Federvieh eines Geflügel Wettbewerbs zu bewundern. Stolz stolzierte der Siegerhahn in seinem Käfig. Er würdigte die BesucherInnen keines Blickes.
Doch wer meint Tiere nach menschlichen Maßstäben messen zu müssen ist meist auf den Holzweg. Ein Kalb in seiner Aufzugsbox leckte mir zum Beispiel die Innenflächen der Hände ab, nachdem ich es gestreichelt hatte. Das war jedoch keine Liebesgeste, nur die pure Gier nach Salz.

Zwischendurch frönte meine Liebste ihrer Leidenschaft der Fotografie. Wer errät auf wessen künstlerischen Spuren sie unten unterwegs war bekommt ihren Fotokalender 2016.


Nach ein paar Stunden in Landgeruch sehnten wir uns nach dem vertrauten Berliner Feinstaub und den Autoabgasen und fuhren deshalb Heim.

Fotos © Irmeli Rother

Chorgesang und Gomorra

06.06.2015

Nachmittags besuchten wir das Chorfest in der Crellestrasse. Auf fünf Bühnen traten im Wechsel Chöre auf.
„Da wo man fröhlich singt, da lass Dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“ sagt der etwas intellektuell unterbelichtete Volksmund. Spätestens seit "SA marschiert..." ist zu erkennen, dass Gesang nicht per se für Frohsinn steht.

Foto: © Irmeli Rother
Trotzdem, wenn fröhliche Menschen singen, ist es meist nett. In der Crellestraße war die Stimmung sehr harmonisch und spätestens als der Kiezchor unter Leitung von Frank Wismar neben I. und mir ein finnisches Volkslied intonierte, hatte das Fest das Herz meiner Liebsten gewonnen.

Abends wurde das Programm härter. In der Volksbühne wurden "Die 120 Tage von Sodom" gegeben.
1785 hatte Marquis de Sade die literarische Vorlage geschrieben. In dieser Zeit, in der die Herrschenden das bevorstehende Ende ihrer Gewaltherrschaft und die herannahende Revolution spüren, wollen sie noch einmal ihre Macht maximal auskosten. Vier vermögende Herren ziehen sich mit SklavInnen in ein Schloss zurück und je nach Neigung gestalten sie in dreißig Tagen Vergewaltigung, Orgien, Missbrauch und Mord in einem festgelegten Ritual.
Pier Paolo Pasolini griff in seinem Film "Die 120 Tage von Sodom" von 1975 diese Idee auf, verlegte Ort und Zeitpunkt in den untergehenden italienisch / deutschen Faschismus. Bevor die alliierten Truppen den Norden Italiens befreien konnten, bestand dort in der Republik von Salo eine ähnliche Situation wie im vorrevolutionären Frankreich, eine Situation in der die noch herrschenden italienischen Faschisten im Angesicht ihrer Niederlage die moralischen Hemmungen vollständig verloren. Sie genießen ein ähnlich der Erzählung von de Sade gestaltetes Horrorregime.

 In der Theater Fassung von Johann Kresnik wird die Handlung ins Heute verlegt.
Das Ende des Kapitalismus und des "Konsumfaschismus" ist nah und vier Mächtige wollen vorher noch mal ordentlich die Sau rauslassen. Das tun sie in Anlehnung an die Vorlagen gewalttätig.
Für Menschen mit schwachen Nerven ist das nichts.
Spätestens wenn einer Schwangeren bei lebendigem Leib das Baby heraus geschnitten und auf einen Grill gelegt wird, mag man / frau nicht mehr gerne hinschauen.
Doch das Bühnenbild von Gottfried Helnwein ist genial und die SchauspielerInnen transportieren das Anliegen des Stückes gut zu den ZuschauerInnen.
Ganz besonders gefiel mir der Choreograph Ismael Ivo, der auch Mitspieler dabei war und am Anfang  als schwarz geschminkter Schwarzer auftrat. Ein schöne Parodie auf das rassistische blackfacing von weißen SchauspielerInnen.

Für mich war allerdings Kresniks Definition des aktuellen Kapitalismus als Konsumfaschismus fragwürdig. Ich möchte das widerwärtige politisch / ökonomische herrschende System nicht schönreden, aber Faschismus ist eine politisch definierte Ideologie und sollte nicht als Schimpfwort missbraucht werden. Ich erlebte diesen oberflächlichen Gebrauch des Wortes zuletzt von den Genossen der RAF.

Mitwirkende: Roland Renner (Blangis (Abgeordneter)), Helmut Zhuber (Durcet (Richter)), Enrico Spohn (Curval (Bankier)), Hannes Fischer (Bischof), Ismael Ivo (George (amerikanischer Offizier)), Inka Löwendorf (Hure 1), Ilse Ritter (Rabe/ Hure 2), Sarah Behrendt (Sängerin), Juan Corres Benito (Opfer/ Tanz), Andrew Pan (Opfer/ Tanz), Valentina Schisa (Opfer/ Tanz), Sylvana Seddig (Opfer/ Tanz), Sara Simeoni (Opfer/ Tanz), Osvaldo Ventriglia (Opfer/ Tanz), Elisabetta Violante (Opfer/ Tanz), Yoshiko Waki (Opfer/ Tanz), Günter Cornett (Schergen), Helmut Gerlach (Schergen), Wagner Peixoto Cordeiro (Schergen), Arnd Raeder (Schergen), Christian Schlemmer (Schergen), Leandro Tamos (Schergen), Katia Fellin (Mädchen), Paula Knüpling (Mädchen), Ruby Mai Obermann (Mädchen), Estefania Rodriguez (Mädchen), Nathalie Seiß (Mädchen), Marlon Weber (Mädchen), David Eger (Breakdance), Lukas Steltner (Breakdance) und Lucia Itxaso Kühlmorgen Unzalu (Kind)

Kritik der anderen: Nachtkritik, Berliner ZeitungDeutschland Radio Kultur, Tagesspiegel