Auf dem Grundstück der ehemaligen Klavierfabrik Bechstein wurde das Aufbau Haus eröffnet. Neben dem Aufbauverlag, der dem Haus den Namen gab, ist hier u.A. das Designerkaufhaus Modulor eingezogen.
Als ich Augenstern das Modulor mit seinen 11.000 qm zeigte, staunte sie nicht schlecht. Zu meinem Glück warfen sie uns nach zwei Stunden staunen hinaus. Sie machten Feierabend.
Es gab noch Vieles zum Anschauen. Ich wurde beim Stand von Metas neugierig. Sie demonstrierten unter dem Motto "Upcycling Electronics" wie aus IT Müll Neues entstehen kann. So bauten sie z.B. einen 3D Plotter.mit Motoren, Sensoren und Elektronik aus alten Druckern.
Im Haus lud Anastacia and Friends zum Forro und Samba tanzen ein. Leider wurde nur herumgestanden und Augenstern traute sich nicht mit mir ein Tänzchen zu wagen.
So liefen wir weiter durch das Haus, entdecken viele kleine Kreativinseln, tranken einen Kaffee im coledampf´s.
Dort beschauten wir das fantastische Angebot an Kochutensilien und beschlossen noch einmal mit mehr Hunger wieder zu kommen und ein Tagesmenü zu genießen.
Wir besuchen sicher noch einmal das Aufbau Haus.
Finnische Freunde besuchten Augenstern. Anlass war unter anderem der 60. Geburtstag von Tintti. Wir hatten die sie im letzten Jahr im finnischen Muhos besucht. Wir klapperten mit ihnen in Berlin viele Touristenorte ab. Das ist für mich irgendwie witzig.
Am Freitag Abend machten wir uns dann fein, um gemeinsam die Deutsche Oper zu besuchen. Seit diese 1967 den Schah von Persien empfing, boykottierte ich das Haus. Kein Vergeben und kein Vergessen ist schon ok, doch hat nicht die Oper Benno Ohnesorg erschossen.
Das war die Polizei. Gegenüber dem Opernhaus bin ich nach über vierzig Jahren milder gestimmt.
Bei einem Aperitif im Foyer freuten wir uns auf die Vorstellung der Oper Tosca von Puccini. Spannend war das für mich als altem Opernskeptiker.
In Tosca passiert genau das, was ich an Oper so gewöhnungsbedürftig finde, hier sterben die Akteure mit einer Arie auf den Lippen.
Tosca spielt um 1800 in Rom. Viele Intellektuelle sympathisierten mit der französischen Revolution, die Adelshäuser fürchteten sich davor.
Sie reagierten mit Folter und Mord.
Die Story: Der politische Gefangene Angelotti flieht aus den Knast und findet bei seinem Freund dem Maler Cavaradossi Unterschlupf. Dessen Freundin Tosca ist eifersüchtig und denkt, der Maler hat eine Andere. Dies nutzt der Polizeichef Scarpia den Maler und seinen Freund zu fassen und umzubringen. Nebenbei versucht er noch durch Tricks Tosca zum Sex zu zwingen. Als diese erfahrt, dass der Maler erschossen wurde, springt sie singend von der Festungsmauer.
Puccini hat mit dieser Oper dem Widerstand gegen die Feudalherrschaft ein Denkmal gesetzt. Da kann ich als linksradikaler Opa trotz der kitschigen Ausführung schlecht dagegen sein. So klatschte ich fleißig, denn auch die musikalische Leistung war bemerkenswert.
Noch in Berlin am U-Bahnhof Turmstraße begrüßte Augenstern und mich Italien, in Gestalt eines Spuckis der italienischen Antifaschisten. Die Vorfreude auf unser Reiseziel wuchs.
Als wir dann im Flughafen Marco Polo gelandet waren, versuchte uns dann das Casino zu animieren unser Geld zu verspielen. Das Glück hängt zwar nicht am Geld allein, summen die Alten, aber es dem italienischen Staat zu schenken finde ich blöd.
Der Werber, der die Gepäckausgabe wie einen Roulettetisch gestaltete, hatte jedoch etwas nicht beachtet. Einen Koffer wieder zu bekommen sollte keine Frage von Glück sein. Doch vielleicht brachen meine Vorurteile gegen die etwas schlampigen Spaghettifresser auf.
Im Land der barbarischen Kartoffeln wäre ich nicht auf solche Gedanken gekommen.
Doch wir durften unsere Koffer zum Schiffsanleger schleppen. Beim ersten Venedigbesuch fuhr ich mit dem Bus.
Das war nicht klug gewesen.
Der Ausblick vom Schiffchen auf das näher kommende Venedig ist durch einen Blick aus dem Busfenster nicht zu ersetzen. Augenstern und mir wurde es warm ums Herz.
Von der Haltestelle Arsenale geleitete uns der Vermieter zu unserer Ferienwohnung.
Mit unserem Gepäck brauchten wir nur 5 Minuten.
Unsere Bleibe und ihre Lage waren bezaubernd. Wir kamen nicht aus dem Staunen hinaus. In dem Haus bezogen wir die untere Etage. Es gab Luft und Sonne. Von der Tür trat man / frau auf die Piazza.
Zwei Schlafzimmer, ein schickes Bad, ein Wohnzimmer und eine komplett eingerichtete geräumige Küche bildeten für die nächsten zehn Tage unsere Heimstatt. Als wir uns zum Einkaufen aufrafften, sahen wir auf "unserem" Platz die ersten Touristengruppe stehen.
Zum Glück waren es über die Zeit nicht allzu viele. Wir strebten zur Via Garibaldi, einer lokalen Fußgängerzone.
Auf dem Weg dorthin sahen wir diese romantischen Wäschekompositionen, die die VenezianerInnen extra für TouristInnen raushängen.
Die Via Garibaldi war früher ein Kanal, zum Teil ist er noch erhalten. In der Straße kaufen überwiegend Einheimische. Viele kleine Geschäfte bieten alles, was der Venezianer braucht, und Bars laden zum Verweilen ein. Am späten Nachmittag wird hier flaniert.
Vom Baby bis zur Oma ist alles unterwegs, es wird ein Schwätzchen gehalten, ein Aperitif getrunken und die letzten Besorgungen werden getätigt. Hier gelang es mir Augenstern zum ersten Spritz zu überreden, der bald zum Standardgetränk der Reise wurde.
Wir deckten uns mit Wein und Essbarem ein.
Beim Streunen entdeckten wir dann ein modernes Kunstwerk. Eine Wand mit Fotos einer Künsterlin beklebt. Im Text war zu lesen, dass sie einen finanzkräftigen Gönner oder Galleristen sucht. Hoffentlich kann der auch ihr Gummispielzeug akzeptieren.
Auf dem Weg nach Hause entdeckte Augenstern ein Büro der Kommunistischen Partei und direkt daneben eine an der Wand montierte Madonna. Die Szene könnte aus den Don Camillo und Peppone Filmen entnommen sein. Die haben mich in meiner Jugend begleitet.
Sie spielten nicht in Venedig, sondern in einem kleinen Dorf. Die Streitereien des kommunistischen, mit einem Stalinbärtchen bewaffneten Bürgermeisters mit dem schlitzohrigen Dorfpriester, sie kämpften vorher gemeinsam gegen die Deutschen, waren herzerfrischend im Vergleich zum tumben Antikommunismus, dem ich im Alltag in Berlin erlebte.
Nach Hause zurückgekehrt stellten wir Tisch und Stühle auf die Piazza, speisten und tranken dort bis in die Nacht hinein. Das Wetter war herrlich warm und bis auf ein paar Tropfen auf dem Rollfeld blieben wir den Urlaub über trocken.
Vor der Mauer des Arsenale befand sich ein Kanal, auf dem Boote heran tuckerten und festmachten.
Ab und zu schwamm auch mal eine Gondel vorbei. Langsam ging der Mond über den Zinnen auf (ihr dürft ruhig neidisch sein) und wir freuten uns des guten Essens und des preiswerten, aber guten Weines.
Mir wurde klar, dass wir mit der Unterkunft viel Glück hatten.
Im Lauf des Abends liefen auch viele Menschen über den Platz. Sie kamen wohl überwiegend von der Station Arsenale und strebten irgendwo hin. Süß war es, wenn Touristen uns beim Tafeln knipsten. Zu Hause erzählen sie dann bestimmt, dass Venezianer so leben.
Später kamen dann auch mehrmals verirrte KofferträgerInnen an unseren Tisch, versuchten uns meist auf englisch nach dem Weg zu fragen. Manchen konnten wir mit unserer großformatigen Karte helfen. Navis und Minikarten sind in Venedig besonders in der Nacht fast unbrauchbar. Ob der guten Taten und des dadurch gereinigten Gewissens, schliefen wir die Nacht auf sanften Ruhekissen.
Morgens kam wieder unser Tisch auf die Piazza, ich holte Brötchen und andere Leckereien, Augenstern kochte den Tee und dann schauten wir zu, wie die BewohnerInnen zu Fuß oder im Boot irgendwo hin strebten.
Über der Mauer des Arsenale entdeckte ich einen Antennenturm, die italienische Marine besetzt einen großen Teil des Komplexes. Dort ist das Kommando der Seestreitkräfte untergebracht.
Aus diesem Grund sind in der Gegend viele Menschen in Kostümen, ähnlich der Traumschiff Besatzung, zu sehen. Deutsche Soldaten in Uniform erzeugen bei mir ein Ekelgefühl, italienische dagegegen wirken irgendwie niedlich. Sie sehen wie Statisten einer Seifenoper aus.
Nach dem Frühstück besuchten wir die Via Garibaldi, um für´s Abendessen einzukaufen. Wir kauften Getier, das wir nicht kannten. Der Verkäufer nannte sie Capalonga, Tiere, die in ca. acht Zentimeter langen Röhren hausen.
Im Meer buddeln sie sich in den Sand. Im deutschen Sprachraum heißen sie Scheidenmuschel. Bis zur Zubereitung waren sie recht lebendig. Sie sind Einwanderinnen aus Nordamerika und besiedeln die Küsten Europas. Dabei verdrängen sie massiv einheimische Arten. Klingt, als wenn das ein Grund wäre sie auf zu essen. Leider ist die Ernte schwierig. Entweder werden sie von Tauchern aus dem Sand gezogen oder Fabrikschiffe benutzen einen Staubsauger und reißen 20 cm vom Meeresboden weg. Was danach noch vom Lebensraum Meeresboden übrig ist, könnt ihr euch vorstellen.
Vor dem leiblichen Genuß hatten wir den ersten Biennale Besuch platziert. Diese findet diesmal unter dem Motto "ILLUMInazioni" (Beleuchtete Nationen) statt. Ein paar hundert Meter von unserer Unterkunft ist der Eingang zu einer Abteilung, dem Arsenale.
In der Nähe des Eingangs hatte Jemand / Jefrau geschrieben: "Hallo Mama, siehst du, ich bin wer in der Kunst-Welt. Mein Werk ist im Arsenale zu sehen."
Die ehemaligen Fabrikationshallen verströmen den morbiden Charme, der heute im Kunstbetrieb beliebt ist.
Eine der zentral kuratierten Austellungen ist hier in 13 miteinander verbundenen Hallen untergebracht. Sie stehen in einer Reihe hinter einander.
Schaut, was wir knipsenswert fanden:
Song Dong, 2011
Parapavilion (inteligence from poor peaple)
Der Künstler baute das Haus seiner Eltern aus Peking nach.
Rashid Johnson, 2011
The Shuttle
Mai-Thu Perret, 2011
Flow my tears
Ida Ekblad, 2011
A Caged Law of the Bird the hand the land.
Die aus Wachs gefertigten Skulpturen mit Docht brannten langsam während der fünf Monate Biennale ab.
Giulia Piscitelli, 2011
Seidentücher in hervorragender Qualität als Wandschmuck
Dieses Video besteht aus Filmausschnitten, in denen Uhren vorkommen. Diese sind in einer 24 Stunden Endlosschleife geschnitten, so dass zur jeweiligen Tageszeit die Uhrzeit stimmt. Was für eine irre Idee. Der Künstler hat den goldenen Löwen echt verdient.
Danach folgten Länderhallen, die wir nach einem kleinen Imbiss erwanderten.
Türkei
Die Künstlerin baute eine Anlage zur Reinigung des Wassers des hinter dem Gebäude vorbeifließenden Kanals. Sie pumpte es heraus und gab es gesäubert zurück
"Between forever and never" lautete das Motto. Darunter wurden eine Auswahl von KünstlerInnen gezeigt.
Es waren bemerkenswerte Werke darunter, z.B. das Brautkleid nebenan.
In der Halle sah ich ein Video von Björn Mehlhus aus Dänemark, das war spannend, jedoch fehlte der Bezug zu den Latinos.
Hier war ein begehbarer Parcours entstanden, in dem KünstlerInnen der Staatengemeinschaft ausstellten. Viele Gutes war dabei, aber weshalb ein Künstler aus Arabien sich mit Süßkartoffeln beschäftigt ...?
Wie die beiden Künstlerinnen es schaffen trotz Burkapflicht solche tollen Installationen zu bauen ist mir rätselhaft.
Ich vermute, sie bauten diese im Ausland und wurden vom frauenfeindlichsten Land der Welt zur Imagepflege ausgewählt.
Auf die Betrachtung staatlich kontrollierter Kunst aus diesem Land verzichteten wir vollständig. Ich finde, ein Boykott ist richtig!
Nach einem Spaziergang über das Freigelände rafften wir uns nur noch mit Mühe auf, die italienische Halle zu besuchen. Hier wurde unter dem Motto: "L'arte non es cosa nostra" (die Kunst ist nicht unsere Sache) ein Überblick über die Kunst des Landes geboten.
Zum Glück hatte der Kurator und Freund von Berlusconi darauf verzichtet seinen eigenen Geschmack vorzustellen.
Er bat bekannte Kulturschaffende je ein Werk auszuwählen. So wurde in der Halle nicht nur Berlusconis Stripteasequiz Tutti Frutti gezeigt und / oder die Autobiografie des ehem. italienischen Ministerpräsidenten verlesen.
Doch war die Auswahl sehr beliebig.
Schon etwas geschafft streiften wir noch durch den Skulpturenpark. Bei dem Werk rechts wurde regelmäßig Kunstnebel erzeugt, so dass die Wolken auf dem Rasen verschleiert wurden.
Zum "Feierabend" genossen wir einen Spritz auf der Via Garibaldi.
Abends kochte ich dann noch für Augenstern und mich.
Rezept mit Capalonga an Pasta:
Die Muscheln abspülen, in Weißwein mit Zwiebeln, Knoblauch, Lorbeerblatt und Pfefferkörnern kochen und wenn sie aufgegangen sind, in ein Gefäß durchseien. Das Muschelfleisch separieren. In einer Pfanne Zwiebeln und Knoblauch glasig dünsten, Tomaten dazugeben und etwas einkochen lassen. Mit Kochwasser aufgiessen. Kräftig würzen und die Polypen in die Soße geben. Mit Nudeln servieren. Buon Appetito!