12.06.2011
Eigendlich wollte ich an diesem Karneval der Kulturen nur zuschauen, aber der Mensch denkt und der Zufall funkt dazwischen.
Bekannte von mir hatten unter dem Motto "Dégage" einen Wagen für den Umzug angemeldet, doch als der technische Leiter sich den Arm brach, sprang ich ein.
So kümmerte ich mich darum, den Bus für die technische Abnahme durch den Veranstalter fit zu machen.
Leider stand die gerade neu aufgenommene berufliche Tätigkeit zeitlich im Widerspruch. Manchmal könnte ich auf Lohnarbeit verzichten.
Dégage heißt auf französisch "Hau ab";- abhauen sollte der von den westlichen Staaten, auch von der BRD, einst geliebte tunesische Diktator Ben Ali. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie unsere Regierung den miesesten Diktatoren ums Maul streicht, wenn es dem Profit der Unternehmer dient. Aber kaum sind sie gestürzt, steht die Regierung an der Seite des Volkes. Nicht umsonst genießt sogar der Berufsstand der Gebrauchtwagenhändler ein höheres Ansehen bei der deutschen Bevölkerung, als der der Politiker.
Am Tag zuvor fuhren wir den Bus in das Zwischenlager und die erste Abnahme fand statt. Am Umzugstag fanden wir uns mit dem Gefährt auf unserem Stellplatz in der Urbanstraße ein. Der Fahrer machte noch ein Nickerchen und Augenstern und ich nutzten die Gelegenheit, um Fotos zu schießen.
Da alle teilnehmenden Wagen mehrere Stunden vor der Abfahrt auf den zugewiesenen Positionen stehen müssen, herrschte ein buntes Treiben.
Viele UmzugsteilnehmerInnen tanzten sich schon mal warm, andere bastelten noch an ihren Wagen und andere flanierten herum so wie wir.
Diese Frauen einer polnischen Gruppe hatten wohl am Abend zuvor zu lange getanzt. Ein harter Tag stand ihnen bevor.
Ich finde, für FotografInnen ist die Zeit vor dem Abmarsch die interessanteste. Man / frau kommt noch direkt an die Akteure heran, steht nicht im Gedränge wie an der Wegstrecke.
Die Truppe links kommt aus Kurdistan.
Die Damen rechts gehörten zu einer Samba Truppe. Sie hatten schon ihre Stelzen angeschnallt, aber lehnten noch an einem Zaun.
Ich stelle es mir fürchterlich anstengend vor; schon zu Fuß tanzend ist der Umzug sehr strapaziös.
Bezaubern ist, dass es immer wieder zu Verbrüderungen / Verschwesterungen der verschiedenen Kulturen kommt.
Hier posieren zwei Samba Tänzer des Bloco Esplosao mit einer Tänzerein aus Indochina. So etwas gibt es nur auf dem Aufstellungsplatz.
Die BewoherInnen der sonst stark verkehrsbelasteten Urbanstraße bekommen an diesem Tage nur manchmal recht laute Musik zu hören und ihre Fenster und Balkone sind exklusive Logenplätze.
Am Umzugstag würde ich gerne dort wohnen.
Die anliegenden Imbisse und Kneipen sind auch sehr rege besucht. Fürchterlich finde ich nur, dass einige Geld für den Klobesuch verlangen, dabei verdienen sie sich an den BesucherInnen eine goldene Nase.
Dann begann der Umzug. Traditionell bildet die brasilianisch inspirierte Afoxe Loni die erste Gruppe. Sie reinigt rituell den Weg.
Ob sie im nächsten Jahr noch mitmachen, ist jedoch unklar. Sie fordern dass der Senat den Karneval finanziell fördert. Berlin verdient seit Jahren am Karneval und die Teilnehmer müssen sich Kostüme usw vom Lebensunterhalt absparen.
Jetzt musste ich schnell zum Bus zurück. Die Kontrolleure des Veranstalters wollten das Fahrzeug abnehmen.
Sie kontrollierten die Feuerlöscher, den Abluftkanal für den Benzingenerator und die elektrischen Einrichtungen wie Erdung und Stromkabel.
Wir mussten noch warten, bis wir auf die Strecke durften. Die tausenden ZuschauerInnen am Straßenrand ließen unseren Adrenalinpegel hochschnellen. Für mich und Augenstern war es etwas Besonderes, dass wir auf dem Oberdeck mitfahren durften.
Am Südstern befindet sich traditionell der Pavillon der Jury, die den Gewinner unter den teilnehmenden Gruppen ermittelt. Auch Dégage führte eine kleine Performance auf. Die war wegen der kurzen Vorbereitungszeit etwas improvisiert.
Danach begann der DJ auf dem Wagen extrem gut tanzbare Weltmusik aufzulegen. So zogen wir bald einen langen Schwanz hüpfender Menschen hinter uns her. Die Stimmung war fantastisch.
Augenstern und ich tanzten fleißig mit.
Wir verließen den Wagen an der Zossener Straße.
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