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Vor die Wand

30.10.2012

Am Nachmittag zog ich mit der Liebsten los, um eine im Rahmen des Monats der Fotografie stattfindende Ausstellung zu besichtigen. In der Galerie Camera Works in der Kantstrasse hingen die Fotos Bettina Rheims an der Wand. Ihre Gender Studies zeigen den fließenden Übergang zwischen den Geschlechtern.
Wer immer noch glaubt, dass es nur Mann und Frau gibt, kann sich hier noch bis zum 1. Dezember 2012 vom Gegenteil überzeugen.








Mir waren die Fotos zu niedlich und harmlos. Viele Transsexuelle haben massive gesellschaftliche und psychische Probleme.
Nach dem Ausstellungbesuch zogen wir weiter in den Delphi Kinopalast am Zoo, Kant Ecke Fasanenstrasse. Dort sahen wir den Film "Die Wand". In der 1963 geschriebenen Romanvorlage von Marlen Haushofer wird die ausweglose Situation einer Frau geschildert.

Diese wird in einem Gebiet in den Alpen durch eine riesige Käseglocke eingeschlossen. Scheinbar sind alle anderen Menschen tot. Sie muss versuchen mit ein paar Haustieren, selbstangebautem Gemüse und der Jagd zu überleben. Die Darstellerin Martina Gedeck spielt diese Rolle stumm, sie spricht ausschließlich ihre Tagebucheintragungen ein.
Was für eine exzellente schauspielerische Arbeit.


Mich hat der Film mit seinen ruhigen Bildern begeistert, nur manche langen Einstellungen auf der Alm schienen mir vom Tourismusverband bezahlt.
Kritiken der Anderen: Zeit, Spiegel, 3Sat, taz

Wir beschlossen den netten Abend mit einem AfterKinoTalk im Terzo Mondo in der Grolmannstrasse. Bei leckerem Retzina und Tzatziki verarbeiteten wir das Gesehene.

Konzepte des Lebens

28.10.2012

Patricia Piccini, the comforter, 2010
Ein Teil der Skulpturen schaffenden KünstlerInnen spüren der gesellschaftlichen Tendenz nach, dass die Wissenschaft versucht die Grenze zwischen uns und den Maschinen einzureißen.Viele setzen verderbliche Materialien ein und bilden biologische Prozesse des Wachstums und des Zerfalls in ihren Arbeiten ab.

Thomas Feuerstein
Manna Maschine 2008
Die Ausstellung BIOS im Kolbe Museum umkreiste diesen Komplex .
Der Eyecatcher, auch auf den Plakat zur Ausstellung, war das Wolfskind, das mit einer Art Baby spielt. Der Anblick war etwas erschreckend, erinnerte an ein Abnormitäten Kabinett einer med. Hochschule. Trotzdem stellte sich das Gefühl ein, jemand zu sehen, der eine tiefe Zuneigung zu einem Wesen hat.
In den Behältern links wurde Algensuppe produziert. Guten Appetit, ist wahrscheinlich so lecker wie Fastfood von McDonald.

David Zink Yi, o. Titel
Da freue ich mich auf die schöne neue Welt. Sehr beeindruckend war der künstliche, gestrandete Tintenfisch. Er soll wohl das Ende der Welt ankündigen. Die restlichen Werke fand ich zu sehr am Thema vorbei, als dass ich sie euch zeigen möchte.

Das Motto der Ausstellung "Bios – Konzepte des Lebens in der zeitgenössischen Skulptur" hat der Kurator Marc Wellmann nicht eingelöst. Nur das Wolfsmädchen setzt die Idee wirklich um.

Georg Kolbe, 1922
Tänzerinnenbrunnen
Das ehemalige Atelierhaus vom Bildhauer Georg Kolbe (1877–1947) ist jedoch auch ohne eine aktuelle Spitzenausstellung den Besuch wert. Dieser war zwar ein anpassungsfähiger Künstler, dem es gelang im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im deutschen Reich gut im Geschäft zu bleiben, aber einige seiner Skulpturen sind dennoch bemerkenswert.
Nach dem Wahlsieg der NSDAP wurde er einer der führender Künstler für die Denkmäler des Deutschen Reichs.
Aktiver Widerstand sieht anders aus. 

Leider wurde er dafür nie bestraft und es wurde noch nicht mal sein mit Nazikunst erworbenes Vermögen eingezogen, um Opfer zu entschädigen.
Einige Werke stehen sowohl im Haus als auch im Garten.
In Gartenhaus befindet sich das bezaubernde Café K, das mit leckerem Kuchen, Kaffee und kleinen Speisen lockt.
Im Sommer sind die Außenplätze auf der Terrasse sehr beliebt und begehrt.

Im weiten Umkreis gibt es so ein Juwel nicht. Um die Ecke vom S-Bahnhof Heerstrasse gelegen ist auch der Teufelsberg nicht weit. Wer einen Ausflug mit einem Caféhausbesuch verbinden will, sitzt hier richtig.

ehem. Abhörstation der USA auf dem Teufelsberg
© Axel Mauruszat

Moabit grooved

27.10.2012

Beim Festival MoBeat versucht Moabit sich musikalisch zu präsentieren. Der Stadtteil liegt zwar zentral aber schläft wie Dornröschen. Sicher zum Glück für die BewohnerInnen. Die in Szenebezirken übliche Vertreibung der Bewohner durch Immobilienspekulanten hat dort bisher nicht so stark gegriffen.

Mit der Liebsten und einem befreundeten Pärchen trafen wir uns in Freddy Leck sein Waschsalon. Dort kann man / frau nicht nur schmutzige Wäsche waschen, sondern manchmal auch Konzerten und Lesungen lauschen.

Dort trat Caroline Martine auf, die mit ihrer Bühnenperformance und ihren musikalischen Fähigkeiten einen ersten Glanzpunkt setzte. Sie verband virtuos Jazz mit Pop und Chanson. Geschickt setzte sie eine Loop Maschine ein. Damit speicherte sie Gesangssequenzen. Der Kasten zu ihren Füßen gab diese dann auf Wunsch wieder, so konnte sie mit sich selbst singen. Die sonst bei MusikerInnen mit Gitarre und Gesang leicht auftretende Langeweile vermied sie so geschickt.

Ich trug mich auf ihre Newsletterliste ein und hoffe euch bald mehr über sie berichten zu können.

Später zogen wir zum ehemaligen Güterbahnhof Moabit, der heute das Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZKU) beherbergt. Dort spielte im Keller die Band Megamau Punkrock. Sie begeisterte mich nicht. Im zugigem Erdgeschoss tranken wir dann noch einen Wein.

Etwas durchfroren brachen wir die Kultour ab und genossen einen Schlummertrunk in dem netten altberliner Restaurant Dicker Engel am U-Bahnhof Birkenstrasse. So trostlos wie viele denken ist Moabit also doch nicht.

Fotos von Ostkreuz

26.10.2012

Im ehemaligen Kaufhaus Maassen stellte die Ostkreuzschule für Fotografie die Arbeiten ihres Abschlussjahrgangs unter dem Titel Echo vor. In dem innen etwas maroden Altbau direkt am Oranienplatz waren die Fotos über drei Etagen verteilt.
Wieder mal ein defekter, perfekter Ort für Kunst. Die Ausstellung ist bis zum 17.11.2012 geöffnet.











Ich erschien frühzeitig zur Eröffnung, meine Liebste konnte erst später.

Philipp Plum
Berlin Bouncer Project
Mit Lichttechnik war der Raum geschickt dekoriert.
Doch es  wurde schnell sehr voll, denn in Erwartung, der für später angekündigten Party, strömten die jungen Kreativen in Scharen ins Haus.
Im Dachgeschoss waren die spannendsten Aufnahmen zu sehen. Der Fotograf hat Berliner TürsteherInnen abgelichtet.

Eric Meier, Aporia
In den anderen Stockwerken fanden wir aber auch einiges Sehenswertes.
Der Künstler links vergleicht fotografisch den sogenannten Kultur- mit dem Naturwald.

Romy Kaa, persona
Die Fotoserie rechts ist sehr persönlich wie schon der Titel verrät. Eine Selbstinszenierungen mit Mutter und Kind, die Fotografin stellt Szenen nach. Viele der Fotografinnen stellten sich und ihren Körper in den Mittelpunkt.

Mark Alker
fiat iustitia, et pereat mundus
Die Bilder links zeigen Gerichtssäle. Der Fotograf ist selbst Jurist und zeigt leere Räume, in denen Staatsgewalt ausgeübt wird.
Der lateinische Titel bedeutet: "Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zugrunde"

Das Anschauen der Ausstellung lohnt sich.

Fotos von Drüben

23.10.2012

"Geht doch nach Drüben", in den Siebzigern der Standartspruch des Berliner antikommunistischen Mobs, wenn ihnen in Diskussionen nichts mehr einfiel. Das war dann der Moment sich zurückzuziehen, wenn man / frau körperliche Auseinandersetzungen vermeiden wollte.
Die Drüben, sprich die in der DDR lebten, zeigten ihre Umgebung und ihr Land auch durch das Auge der Kamera.

1989 – Pfingsttreffen der FDJ
© Jens Rötzsch
Die Ausstellung "Geschlossene Gesellschaft. Künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989" ist noch bis zum 28.01.2013 in der Berlinischen Galerie anzuschauen.
Die Bilder sind klug ausgewählt. Der Schwerpunkt ist so gesetzt, dass kaum Propagandafotos zu sehen sind.
Sogar bei Selbstinzenierungen der SED gelang es FotografInnen diese gegen Strich abzulichten.

Frau in Rot, Leipzig 1985
© Erasmus Schröter
Solche Fotos waren in der DDR unverkäuflich, so dass die meisten im privaten Archiv landeten. Fürs Brot wurde dann linienkonform fotografiert.
Zum Ende der DDR begannen aber auch viele FotokünstlerInnen sich nicht mehr um die Parteivorgaben zu scheren. Sie versuchten nicht mehr vom Fotografieren zu leben. Wie KünstlerInnen in anderen Bereichen setzten sie sich vom Staat ab.

Susi, Rathenow 1976
© Nachlass Sibylle Bergemann
Viele arbeiteten lieber in schwarz / weiss, denn die Farbfilme besaßen oft einen starken Rotstich. Der Fotograf des Bildes oben spielte mit diesem Farbfehler.
Meine Liebste und ich waren ob der Qualität vieler Fotos begeistert, doch erschließt sich Vieles erst durch drei gezeigten Videos mit Interviews mit KünsterInnen. Man / frau sollte eine Stunde vor dem Rundgang Filmgucken einplanen.

Schlachthof Berlin 86 - 88
© Jörg Knöfel
Im Anschluss sind die Fotos besser zu verstehen. Alternativ werden aber auch Führungen angeboten.
Interessant war die gezeigte Modefotografie.
Besonders eindrucksvoll fand ich ein Konzeptkunstwerk. Darin werden in einem Gang, der aus hängenden Blechplatten gebildet wird, Fotos von halb verarbeiteten Tieren und den ArbeiterInnen eines Schlachtbetriebs abgebildet. Hier sind nicht die heroischen HeldInnen und die Bilder des fortschreitenden Sozialismus, die die Partei so gerne sehen wollte.

Zum Glück machte die Bevölkerung der DDR Schluss mit dem Spuk.



Stimme aus Brasilien

13.10.2012

Entgegen den landläufigen Vorurteilen können FinnInnen auch spontan sein. Weil günstige Flüge angeboten wurden, landeten Mitglieder der Familie meiner Liebsten in Berlin. Sie kamen aus Koskenkorva, einem Ort, der einem finnischen Kornbrand den Namen gab. Vor diesem Getränk muss ich warnen, es ist mit einem Alkoholgehalt von bis zu 80 % im Handel und rumpelt ordentlich im Kopf. Als ich es in Finnland testete, ging danach ein Bügeleisen zu Bruch.

Meine erste Befürchtung, dass die BesucherInnen durch langjährigen Genuss des Getränks ihres Dorfes gezeichnet sind, bewahrheitete sich nicht.
Sie waren so zivilisiert, dass ich sogar mit ihnen ins Restaurant gehen konnte ohne aufzufallen. Man / frau trank Cola und Bier.

Noch nicht einmal füllten sie aus der Taschenflasche Wodka hinein. Ich war angenehm überrascht. Es bewahrheitete sich, dass Vorurteile blöd sind.
Später besuchten wir mit ihnen ein Konzert eines brasilianischen Songwriters im Heimathafen Neukölln. Marcelo Camelo sang in der Reihe "Novas Vozes do Brazil", begleitet von Thomas Rohrer an der Rabeca. Die Rebeca ist eine Art Geige, hauptsächlich in Portugal und Brasilien gespielt. Sie wird aber an die Brust, nicht an den Hals gedrückt.


Marcelo Camelo scheint aber keine so neue Stimme zu sein, wie der Name der Konzertreihe suggeriert. Zumindestens die reichlich anwesenden BrasilianerInnen sangen alle Texte komplett mit. Mir gefiel das ausverkaufte Konzert sehr gut.

Trauma auf der Couch

11.10.2012

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich noch nie im Literaturhaus Berlin war. Es ist ein kleines Juwel in einer Seitenstrasse von Langweiler Boulevard Kudamm.

Zuerst genoss ich sehr leckere Schokolade und Blaubeerkuchen im Café Wintergarten. Ein sehr angenehm ruhiger Ort. Im Sommer stehen auch Tische im hübschen Garten.

Auf Einladung des Debattierklubs Spreeathen e.V. stellte die Psychoanalytikerin Dr. Henningsen ihr Buch "Trauma - Psychoanalytische Perspektiven" in einem Versammlungsraum vor. Normalerweise käme mir es nicht in den Sinn eine solche Veranstaltung zu besuchen, aber da Freundin J. sich fürs Thema interessiert, war ich dort mit ihr verabredet. Leider kam sie zu spät und da es sehr voll wurde, konnte ich den für sie reservierten Platz nicht freihalten. So hörte ich die Fallbeschreibungen allein.

Zum Glück verstand ich genügend vom Thema, um nicht weg rennen zu müssen.
Wichtig fand ich den Einwand von Fr. Henningsen gegen die Bescheide von Amtsärzten, die ständig traumatisierte Flüchtlinge zur Ausweisung freigeben, ohne die Befähigung zu besitzen, Traumatisierung zu erkennen.
Aber eigentlich kein Wunder, denn die deutsche Flüchtlingspolitik sieht eh ihre Hauptaufgabe darin Geflohene abzuschieben und abzuschrecken.

F 63.9 = Liebe

06.10.2012

Da hat doch die WHO (Weltgesundorganisation) wirklich die Liebe unter der Kennziffer F 63.9 als Störung der Impulskontrolle eingestuft. (ICD 10 F 63.9). Ob sie nun eine Art Sucht oder Krankheit oder Beides ist, kann diskutiert werden.
Das Tanzstück des Temporären Theaters versuchte diese Störung in den Uferhallen in poetische Bilder umzusetzen.


Passend zum Thema (heterosexuell betrachtet) standen ein Mann und eine Frau auf der Plattform. Langsam näherten sie sich tänzerisch an, um sich dann zu zerstreiten. Ein wenig wie im Leben. Die gestische Umsetzung war sowohl sensibel als auch kraftvoll.

R., die Liebste und ich betrachteten danach das Tanzstück zufrieden. Im Restaurant Uferlos lies es sich bei Wein und Bier gut schwatzten.

Volksmusik, muss das sein?

04.10.2012

Mehr um Freundin M. zu treffen besuchte ich ein Konzert im Rickenbacker. Profolk Berlin, Landesverband für Lied, Folk und Weltmusik e.V. präsentierte einige Mitglieder. Der Eintritt von 12 Euro hatte wohl was damit zu tun, dass der Laden nur halb voll war.
Von den Auftretenden kannte ich den Liedermacher und Gitarristen Mario Hené und die musikalisch im Country anzusiedelnden Jamestown Ferry bereits. Beide sind nicht schlecht, aber nicht mitreißend.


In dieser Beziehung fand ich Maria Reiser am überzeugendsten. Die wilde Mischung von bayrischem Blosn mit Reggaerhythmus und das mit bajuwarischem Dialekt ging richtig gut ab. Das fesche Madl tritt mit ihrer Band ab und zu auch in Berlin auf und ist trotz erster CD Veröffentlichung wohl noch ein Geheimtipp.

Frau Else verkauft sich

03.10.2012

Wenn Arthur Schnitzler schrieb, war der Inhalt meist nicht sehr lustig. Sein Roman "Fräulein Else" schildert das Schicksal einer Tochter aus reichem Hause, die sich prostituieren muss, um ihren Vater vor dem Bankrott zu retten. Danach begeht sie Selbstmord.
Im Jahr 1924, als der Roman entstand, gab es in Wien sicher einige zehntausend Frauen, die gezwungen waren sich zu verkaufen. In den Armenvierteln hatte eine Frau ohne Ernährer oft gar keine andere Wahl, wenn sie sich und ihre Kinder durchbringen wollte.
Trotz der Ansiedlung im Milieu der Reichen geht die Geschichte von Else ans Herz.

Dem Regisseur Paul Czinner gelang es daraus 1928 einen Stummfilm mit den gleichen Titel Fräulein Else zu drehen. Elisabeth Bergner spielte sie.
G. und ich sahen ihn in einer Reihe Stummfilm mit Piano im Froschkönig in Neukölln. Es war sehr voll und verraucht, aber eindrucksvoll war wie der Pianist Martin Betz die Handlung intonierte. Ludwig Lugmeier von Laufende Bilder e.V. führte sachkundig in den Film ein.